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Auszug aus "In dem Land zwischen zwei Meeren"

von Uta Franck

Ich habe das Schlittschuhfahren noch nicht erwähnt. Skifahren war bei uns im Flachland unbekannt. Wenn es im Winter anfing zu frieren, holten wir unsere Schlittschuhe hervor, die wir mit einem Hohlschlüssel an die Stiefel schraubten.
Zuerst hielt das Eis auf der überfluteten Wiese nahe der Miele, es trafen sich immer dieselben Jugendlichen auf dem Eis, dann war der Ziegeleiteich fest genug gefroren, der meistens eine besonders gute Eisfläche besaß.
Die Jungen spielten Eishockey. Ich zog meine Kreise und manchmal jagten wir uns beim Mützeklauen.
Das Zufrieren der Miele ermöglichte die dritte Stufe des Eisvergnügens. Wegen des Tidenhubs zerbrach das Eis am Rand zu Schollen, aber in der Mitte war es klar und fest. Kilometerweit konnten wir nun in die Landschaft fahren.
Das war unbeschreiblich schön. An Frosttagen kam ich immer erst bei Dunkelheit nach Hause, musste schnell noch die Küche machen und dann mehr schlecht als recht die Schularbeiten.
Einmal hatten wir uns am Vormittag in der Schule zu einer Mondscheinschlittschuhfahrt auf der Miele verabredet.
Nachmittags setzte Tauwetter ein, die Mutter erlaubte mir, nur noch auf der überfluteten Wiese zu fahren.
Ich hielt mich nicht an diese Anweisung und verbrachte einen herrlichen Abend auf dem verbotenen Eis.
Als ich an Land gehen wollte, sackte ich mit dem linken Fuß tief ein. Meine Skihose war nass bis zum Knie.
Zu Hause ging ich zuerst in die Waschküche, zog meine Schuhe und nassen Hosen aus und zeigte mich in Unterhosen bei meinen Eltern in der Wohnstube.
„Na, bist du eingebrochen?“, grinste die Mutter.
Ich hatte ein Donnerwetter befürchtet, aber sie lachte nur, wieder einmal das Gegenteil vom Erwarteten.


In einem Winter herrschte einmal wochenlang Vater Frost, sodass sogar das Salzwasser im Hafen gefror.
Riesige Schollen türmten sich am Rande des Prieles. Der Tidenhub betrug 3,50 m im Meldorfer Hafen.
Ich bin damals wirklich leichtsinnig gewesen. Allein fuhr ich mit meinen Schlittschuhen bis zum Hafen, kletterte über den Deich und zwängte mich durch die Schollen bis auf die glatte Eisfläche des Prieles. Weit,
weit bin ich hinausgefahren. Das Eis sang unter dem Druck meiner gleitenden Schlittschuhe. Ich habe das dreißig Jahre später in einem Gedicht festgehalten.


Tödliche Landschaft

Kilometerweit
tragen
die Schlittschuh
hinaus ins Freie

Das Gleiten
hallt wider
in der Tiefe des Meeres
lautloses Tosen

Risse laufen
durchs zitternde Eis
Schollen krachen
zerbersten die Stille

Unter meinen Füßen
singt
die Nordsee
ihr Requiem 


Plötzlich wurden mir die Einsamkeit und Kälte, ja die Gefährlichkeit der Eislandschaft bewusst.

Nirgendwo ein Mensch. Vollkommen allein. Keiner wusste, wo ich war. Ich drehte um. Auf dem Rückweg hatte ich Angst um mein Leben.


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In dem Land zwischen zwei Meeren