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Vorwort zu "Briefe aus Jugoslawien" von Karl Krolow

Die „Briefe aus Jugoslawien“ sind Uta Francks zweites Prosa-Buch. Der Ort Donji Stoj, tief in der jugoslawischen Provinz, genauer : in Montenegro. Man kann von ihm aus schon die kargen Berge Albaniens sehen. Es sind Reise-Notizen aus dem „heiß gebackenen Staub“ am Rande der Welt, im tiefen Balkan, geführt einige Wochen lang. Sind diese Notizen Briefe? Gewiß. Es gibt den Adressaten Henri. Er taucht zuweilen – gleichsam hinter diesen atmosphärisch flimmernden Sätzen einer Prosa – auf, die man mitunter auch als kurzes Gedicht oder doch als ein Gedicht in Prosa lesen könnte, etwas, das es bei uns selten gibt, etwas das selten gelingt als literarischer Schwebezustand gleichsam. Die Mini-Briefe sind komprimiert auf eine Art und Weise, wie sie im Grunde nur die Lyrik sein kann. Dabei haben sie oft –Satz um Satz – etwas in sich Geschlossenes, klares, Detailliertes mit dem besonderen Sinn, einer besonderen Sinnlichkeit für die Einzelheiten. Diese Einzelheiten leuchten und schweben, doch nicht boden-los. Immer bleibt der fremde, exotische Boden unter den Füßen. Aber die Sätze atmen. Sie sind festgehaltene Augenblicke: leuchtende „glimpses“ und mehr als zufällige Schnappschüsse. Die Genauigkeit ist groß, so groß wie bei dem ersten Buch, den finnischen Niederschriften „Materkangas“.

Was ist notierenswert? Der andere Alltag, das andere Leben, die anderen Menschen, die andere Landschaft; eine Familie, die Nachbarschaft, ihr Tun und Treiben, ihre Sorgen und Freuden. Das gehört zusammen wie die am Strande beinahe fehlenden Möwen, wie Dreck, Kaffeetrinken, die Kinder, die Pflanzen und das, was Uta Franck hört, riecht. Über allem liegt etwas wie genaue Zärtlichkeit. Es sind knappe Wort-Pastelle, die hier entworfen sind. Aber der Entwurf, die Skizze leben noch von dem, was angedeutet wird, was aufblitzt, was vermutet wird. Es sind zarte und deutliche Wasserfarben, in denen die kleinen Texte aufeinander folgen und aufeinander angewiesen sind. Denn hier wird erzählt: Es ist die sinnenhafte Geschichte einer Erfahrung. Die montenegrinischen Augen-Blicke könnten ein Bilder-Album sein. Die Spannung liegt im Aufleuchten der Einzelheiten, auf die es hier ankommt, wie es in diesen dem Adressaten zärtlich zugewandten Texten zuweilen auf jedes Wort im Satz ankommt. Man darf es nicht überhören: ein Knistern von Atmosphäre. Der Orient ist nah. Und nah bleibt der Andere, der Adressat. „Ich spüre dich“, heißt es einmal. Man spürt die Unmittelbarkeit, aus der alles kommt und aufgeschrieben ist und ob man es als Gedicht oder Prosa lesen kann, gilt gleich. Sind diese Briefe Liebesbriefe?

Vieles trifft zusammen in Gegenwart und Ferne. Vom warmen Strand hört man es sprechen: „…ein Heer von Krähen warten darauf, daß die Menschen den Strand verlassen. Taschentücher, Melonenschalen, Babywindeln, Plastiktüten, Kippen. Ich stelle mir vor, wie Du aussiehst: schmal und flüchtig.“ Diese Briefe leuchten vor Diskretion. Lichter gehen in ihnen an und aus und es ist wie „Lavendelfarben der Dunst, bevor die Sonne noch einmal aufglüht.“ 

 

Henri!

Die Berge hüllen sich in Hitze. Junge Katzen mit mageren Hälsen umarmen sich. Erschöpft falle ich in Schlaf. Die Trauben werden blau, der Kellner spritzt den Steinboden unter Tisch und Stühlen nass. Weinlaub fällt zu Boden.

Henri!

Fledermäuse, Eidechsen und Spinnen erobern das Haus. Abends gibt es Trauben und Butterbrot. Am Strand kein Mensch mehr, kaum Muscheln, kaum Algen, kaum Strandgut. Lavendelfarben der Dunst, bevor die Sonne noch einmal aufglüht.

Henri!

Weiße montenegrinische Berge, 

Waldreste im dinarischen Fels.

Aus Albanien bläst ein heißer Wind.

Im Eichenhain schlafen Mann und Frau. 

Sieben Moscheen hat Ulcinj, und jeden Abend brennen Feuer im Dorf.

Henri!

Das Pfeifen macht die Nacht noch nicht hell. Ich kann nicht schlafen. Es ist warm und du bist nicht da. Sternschnuppen fallen. Mein Haus steht den Grillen offen. Eine träumende Ziege. Johlende Hunde und Katzen.

Henri!

Schneereste, ein Bergsee, Wolken verdecken die Sicht. Karst, Wälder und Schluchten. Hoch in den Bergen kein Dorf. Ich bringe dir die Sonne mit aus Donji Stoj.

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Briefe aus Jugoslawien