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Auszug aus "Lerne mich selbst nicht allzu sehr auswendig"

von Uta Franck

Der Schlaf
(für Rainer Kunze)

Wenn der Schlaf sich schlafen legt
der Wind kalt über Felder fegt
die Wälder schaurig rauschen
die Kinder eifrig lauschen

Wenn der Schlaf sich schlafen legt
Großmutter ihre Brille trägt
sie liest schöne Geschichten
von Zwergen Nixen Wichten

Wenn der Schlaf sich schlafen legt
der Bösewicht den Baum umsägt
darauf die Nixen sitzen
„Lauft schnell jetzt müsst ihr flitzen“

Aaron ist sehr aufgeregt
weil der Schlaf sich schlafen legt
Aaron will die Nixen retten
der Wicht legt sie in Ketten

Da sagt der Schlaf ganz rigoros
„Was ist denn hier im Walde los?
Du  Wicht lass schnell die Nixen frei
ich zähle jetzt bis: eins zwei drei

Wenn ich im Walde schlafen will
sind Zwerge Wichte Nixen still
alle sollen schlafen
im Stall des alten Grafen

Jetzt Kinder träumet von den Zwergen
von goldnen Schätzen in den Bergen
im Schlaf sind alle Kinder brav
jetzt schläft auch der gerechte Schlaf“


Wohin oh Zeus trägst du Europa

I
Und Zeus nahm alle Fahnen Europas
ließ Hera ein Gewand daraus nähen
warf es Europa über die Schultern
und sprach: Darf ich um einen Tango bitten?

Zeus und Europa tanzten eine lange Nacht
Dann streifte Europa ihr Kleid ab und wusch es im Meer
Zeus hob es auf und brachte es Hera:
Mach eine einzige Fahne daraus! sagte er.

II
Zeus fasste Europa bei der Hand
Er führte sie zum Strand von Sa Riera
Da sahen sie Engländer Holländer Deutsche
Franzosen und Spanier im Mittelmeer schwimmen

Erkenne sprach Zeus zu seiner Geliebten Jeder
von ihnen spricht eine andere Sprache
Doch alle halten sich auf dieselbe Art
über Wasser. Europa lächelte und verstand


Uta Franck

Flucht aus Syrien
(für einen Unbekannten)

Alles verlassen
die Wohnung
das Zimmer
das Bett und den Tisch

Nie wieder die Liebsten sehen
Oma und Opa
Cousins und Cousinen
Freunde
die Nachbarn

In den Rucksack
Wäsche Schlafanzug und T-Shirts
Wechseljeans
ein Paar Schuhe Socken
Waschlappen Zahnbürste

Das Handy kommt mit
und ein Buch
einstürzende Häuser
brennende Straßen
ich folge Vater und Mutter

Keine Toten mehr sehen
keine Bomben und Giftgas
ob die Helfer uns retten?
die Zukunft ungewiss

Zehn Jahre später

Ohne Eltern
in einer Wohnung
ein Zimmer
ein Bett und ein Tisch

Meine Liebsten habe ich
nicht wieder gesehen

Ich gehe zur Schule
habe Klamotten
ein Handy ein Buch

Immer noch hör ich die Bomben
sehe die Flammen
ertrinke im Meer
schrei voller Angst
im Dunkel der Nacht

Lerne mich selbst nicht allzu sehr auswendig

Verlag Ralf Liebe, Weilerswist 2020, ISBN 978-3-948682-08-8

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